Am Markt geht man davon aus, dass die US-Notenbank Fed noch vor der Europäischen Zentralbank (EZB) die Zinsen senken wird. Doch so muss es nicht kommen. Diesmal könnte die EZB mit der Zinssenkung schneller sein.
First in, first out. Ein in der Logistikbranche häufig verwendeter Begriff, lässt sich auch gut auf die Zinspolitik der Notenbanken anwenden. Was zuerst reinkommt, wird auch wieder zuerst rausgenommen – das sind im Falle der Logistik Waren, im Falle der Geldpolitik die Zinsen. Dies bedeutet: Die Notenbank, die zuerst die Zinsen angehoben hat, wird sie im Sinne von „First in, first out“ auch als erstes wieder senken.
Fed ist mit der Zinssenkung dran, oder?
Folgt man dieser Logik, dann wird es die US-Notenbank Fed sein, die in den kommenden Monaten als erste große westliche Zentralbank eine Zinssenkung durchführen wird, noch vor der EZB. Denn die Fed hatte bereits am 16. März 2022 die erste Zinserhöhung zur Eindämmung der zurückliegenden Inflationswelle durchgeführt. Die EZB folgte mit einer deutlichen Zeitverschiebung erst am 21. Juli 2022, also gute vier Monate später. First in, first out – nun ist die Fed als erstes mit einer Zinssenkung dran.
Doch so muss es nicht kommen. Es gibt durchaus Punkte, die auch dafür sprechen, dass die EZB den Mut zur ersten Zinssenkung aufbringen wird. Das wäre dann quasi das ebenfalls in der Logistikbranche gebräuchliche „Last in, first out“. Denn Notenbanken senken in der Regel nur die Zinsen, wenn einerseits die Inflation eingedämmt ist, andererseits aber auch die Konjunktur schwächelt. Und das ist derzeit eher im Euroraum der Fall. So kämpft die Wirtschaft hierzulande sogar mit einer Rezession. Die Industrieproduktion im Euroraum etwa ist im Januar im Vergleich zum Vormonat stärker eingebrochen als erwartet, sie sank um 3,2 Prozent. Und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stagnierte von Oktober bis Dezember im Vergleich zum Vorquartal. Im Sommer war die Euro-Wirtschaft bereits geschrumpft – um 0,1 Prozent.
US-Wirtschaft läuft deutlich besser
Ganz anders in den USA: Dort wächst die Wirtschat deutlich. Das BIP stieg von Oktober bis Dezember auf das Jahr hochgerechnet um 3,3 Prozent. Eine Rezession, im Euroraum ein realistisches Szenario, erscheint für die USA recht unwahrscheinlich. Stattdessen könnte die von der Notenbank Fed angestrebte „weiche Landung“, also eine inflationsdämpfende Abkühlung der Konjunktur ohne tiefgreifenden Wirtschaftsabschwung, gelingen.
Und weil es eben in den USA deutlich besser läuft als im Euroraum, hat die Fed mit der ersten Zinssenkung durchaus noch Zeit. Es eilt nicht, sagen Beobachter. Zeit, die sich die EZB möglicherweise nicht leisten kann, wenn sie denn einen größeren Wirtschaftseinbruch verhindern will.
Das es in den USA besser läuft, hat mehrere Gründe. So war die amerikanische Wirtschaft nicht so stark von der Preisexplosion bei den Energierohstoffen betroffen wie die europäische. Zwar stiegen auch die Preise für Öl und Gas in Amerika, aber die heimischen Öl- und Gasförderer konnten durch die Steigerung ihrer Produktion etwa durch das Fracking einen Teil der Preisaufschläge verhindern. Das hat dazu geführt, dass die US-amerikanischen Verbraucher und die US-Industrie nicht so negativ von den Öl- und Gaspreisanstiegen getroffen wurden.
Dazu kommt, dass die Regierung in Washington vergleichsweis locker in ihrer Ausgabepolitik verfahren kann. Während man in Europa an einer Schuldenbremse gebunden ist, haben die USA große Mengen an Geld in ihre Wirtschaft gepumpt – und so den durch Corona, Ukrainekrieg und steigenden Zinsen bedingten Konjunktureinbruch abgefedert. Das Budgetdefizit in den USA beläuft sich 2023 auf rund sechs Prozent des BIP, die entsprechenden Werte in Europa fallen im Schnitt nicht halb so hoch aus. Zwar bekommt die Regierung unter Joe Biden zunehmend Druck seitens der politischen Konkurrenz, doch auch diese tritt letztendlich für hohen Staatsausgaben ein, sie will sie nur anders platzieren.
Und dann wäre da noch die Inflation, die sich im Euroraum aktuell schneller dem gewünschten Niveau von rund 2 Prozent annähert als in den USA. Während die Preise in der Eurozone im Februar im Vergleich zum Vorjahresmonat um 2,6 Prozent zulegten, verzeichnete die Inflationsrate in den USA ein Plus von 3,2 Prozent – und somit 0,1 Prozentpunkte mehr als im Januar.
EZB könnte mit Zinssenkung starten
Es gibt also durchaus einige gute Gründe, dass diesmal die EZB die Zinsen noch vor den USA senken könnte. Das ist ungewohnt, neigen die Europäer doch dazu, im „Windschatten“ der amerikanischen Geldpolitik zu handeln. Das ist auch ein Grund, warum am Markt viele Experten diesen Schritt eher für ausgeschlossen halten. Dennoch sollte man als Anleger ihn nicht gänzlich verwerfen. Er hätte nämlich für die europäischen Börsen weitreichende Folgen. Die gute Stimmung am Aktienmarkt USA in den zurückliegenden Monaten resultiert einmal natürlich zu einem guten Stück aus der Zinssenkungsfantasie, dazu aber auch die guten Zahlen aus vielen Unternehmenssektoren, die für Aufwind sorgten. Schwappt diese nun wie zuletzt schon zu beobachten weiter nach Europa, könnte das einen kräftigen Rückenwind für die europäischen Aktienmärkte bedeuten.
„Last in, first out“, könnte diesmal also das Motto lauten. Doch welche europäischen Aktien versprechen Potenzial, trotz aktuell schlechter Konjunkturprognosen? Die Antwort auf die Frage ist alles andere als trivial und würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Sollten Sie Interesse haben, mehr darüber zu erfahren, freuen wir uns, von Ihnen zu hören: Kontakt.
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