Beim Blick auf die vierzig Aktien im deutschen Leitindex DAX kommt bei vielen Investoren aktuell keine Freude auf: Warum? Rund drei Viertel der DAX-Werte haben seit Jahresbeginn an Wert eingebüßt. Und: Bei den verbliebenen Titeln ist es keineswegs so, dass sich dort die eine Gewinner-Branche nach vorne drängen würde. Vielmehr ist das Bild äußerst heterogen. Auf den ersten Blick lassen sich demnach die Gewinner-Aktien nicht mit einem bestimmten Thema oder Oberbegriff zusammenfassen. Diese Gemengelage zeigt, wie herausfordernd die Situation derzeit am Aktienmarkt ist.

Sicherlich darf man nicht vergessen, dass wir in diesem Jahr eine aus meiner Sicht auch besondere Situation haben, die die Märkte belastet. Zunächst natürlich das Thema der US-Zinsveränderung, wobei diese schon im Normalverlauf einzupreisen war und langfristig betrachtet für mehr Unruhe sorgte als notwendig. Nicht zu vergessen ist dabei, dass das Thema der Inflation, welches ich schon vor Jahren erläuterte und den Zusammenhang auf die Ausweitung der Geldmenge bezog als auch auf die Lieferengpässe und Produktions-ausfälle durch die Corona-Krise, die US-Fed (Federal Reserve) in eine sogenannte Schockstarre versetze, dass man dort den Verlauf vollkommen falsch einschätze. Und hier liegt und lag der größte Belastungsfaktor, den die US Notenbank zu bekämpfen hat, möglicherweise auch die EZB, die aber anders agieren muss, um die südlichen Peripherieländer nicht in eine Zahlungsunfähigkeit zu stürzen.  Mit dem dann noch neu erscheinenden Ereignis um den Ukrainekonflikt, der nicht nur auf Europa, sondern wirtschaftlich weltweit ausstrahlt, ist der Boden für hohe Schwankungen gelegt und möglicherweise auch Neubewertungen. Nichtsdestotrotz, gerade jetzt bei den immer höher werdenden Inflationstendenzen, schützt die Aktie mehr denn je die Kaufkraft zu erhalten. Dieses natürlich mit einem langfristigen Blick und auch nicht jedes Unternehmen, da lohnt ein genauer Blick.

Wer das notwendige Know-how besitzt und die wirtschaftlichen Zusammenhänge gut interpretieren kann, kann mit dem sogenannten Stockpicking auch in so herausfordernden Zeiten wie aktuell die richtigen Werte finden und auf eine spätere gute Erholung setzen, um im Durchschnitt attraktive Renditen zu erzielen. Passive Investments in nach Marktkapitalisierung gewichtete Indizes oder auch nach Branchen gebündelte ETFs sind 2022 bislang eher mit Vorsicht zu genießen.

Es kommt oft anders als man denkt

Doch worauf kommt es beim Stockpicking eigentlich an? Die Wahl geeigneter Einzelwerte ist eine hohe Kunst. Nicht nur, weil wir dafür tief in Bilanzen und Geschäftsmodelle eintauchen und idealerweise auch die Leistung des Managements bewerten müssen. Auch erfordert Stockpicking in Situationen wie aktuell ein Gespür für den Markt und die wirtschaftlichen Veränderungen. Selbst wenn Bewertungen attraktiv und die Perspektive für Produkte vielversprechend sind, kann eine Aktie nicht anspringen oder sogar an Wert einbüßen. Nicht umsonst sprechen erfahrene Stockpicker auch von Katalysatoren. Das sind Ereignisse, die ein vorher errechnetes positives Entwicklungs-Szenario für eine Aktie erst einleiten. In Phasen großer Unsicherheit verpuffen derartige Katalysatoren nicht selten am Markt, ohne dass die Kurse reagieren.

Stockpicking ist mehr als Aktien kaufen

Da viele Marktteilnehmer es zudem nicht mehr gewohnt sind, geduldig abzuwarten, bis eine Investition aufgeht und stattdessen nach dem Motto „Was nicht steigt, muss fallen“ handeln, kommen selbst aussichtsreiche Titel mit der Zeit zusätzlich unter Druck. Sich dessen bewusst zu sein, ist für Stockpicker der erste Schritt zum Erfolg. Wer die aktuelle Marktphase aktiv gestalten will, muss Geduld mitbringen.

Es kann sich gleich doppelt lohnen, eine vielversprechende Aktie im aktuellen Marktumfeld zunächst nur anteilig  zu erwerben. Der Markt schlägt in diesen Tagen Kapriolen und ist mitunter irrational, zeigt allerdings auch in einigen Teilsegmenten große Chancen auf. Zu einer angemessenen Stockpicking-Strategie gehört es auch, schon beim Einstieg die Weichen für die späteren Gewinne zu stellen. Wenn der Markt irrational ist, können wir uns das zu Nutze machen und günstiger Durchschnittskurse  erzielen. Hinzu kommt, dass Geduld und eine gute Markt- sowie Unternehmensanalyse mit keinerlei Risiken verbunden ist. Dazu gehört allerdings auch – und dass ist unser klassischer Vorteil als Vermögensverwalter mit jahrzehntelanger Erfahrung –, dass wir das ökonomische Gesamtbild sehen und durchaus die Veränderungen die wir jetzt erleben, richtig bewerten und einschätzen. Es geht also vielmehr um die zukünftigen Wirtschaftsverläufe und herauszufinden, welche Unternehmen gerade dann gefragt sind.

Demut zahlt sich aus

Jetzige Störfeuer können zwar nicht kontrolliert werden, aber sie gehören eben zum Verlauf an den Kapitalmärkten dazu. Sei es die Themen um die Zinsen, die Inflation, die Stagflation oder aber auch kriegerische Auseinandersetzungen sowie Belastungen aus dem Energiesektor. Vieles ist nicht neu und gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder, dennoch ist ein geschulter Blick auf die jetzige Situation sehr wichtig, denn die Verläufe können jedes Mal anders sein. Sowie es in diesem Jahr bereits Aktienunternehmen gibt, die mehr als 15 Prozent gestiegen sind, gibt es eben auch die andere Seite – und da gilt es genau hinzuschauen, war dies gerechtfertigt, sind es Perlen zum Nachkaufen und bieten sich gute Chancen.

Nicht jeder Anleger ist zum Stockpicker geboren. Das selbst zu erkennen, zeichnet erfolgreiche Investoren aus. Wichtig ist auch sich selbst zu hinterfragen und seine eigenen Anlageziele nicht aus dem Blick zu verlieren. An der Grundsituation hat sich nichts geändert, man betritt den Kapitalmarkt, um höhere Renditen langfristig zu erzielen als beispielsweise im Null-Prozent-Zinsumfeld. Man schützt sich gegen die Inflation und den Kaufkraftverlust und möglicherweise auch gegen systemische Verwerfungen bei der ausgeuferten Verschuldung – dieses funktioniert aber alles nur langfristig. Und da gehören Geduld, Disziplin, Nerven und auch gute Vermögensverwalter dazu, die ihr Handwerk verstehen.

Wer aktuell aktiv Chancen mit Einzelwerten ergreifen möchte, dem sei eben neben der Geduld auch zu kleineren Portionsgrößen geraten. Die Märkte sind herausfordernd –– und der Vermögensaufbau mit Aktien erfordert gerade jetzt viel Erfahrung, Zeit, Wissen sowie ein krisenerprobtes Risikomanagement. Das demütig anzuerkennen und sich darauf einzustellen, sind zwei der wichtigsten Schritte, um auch zwischen Pandemie, Inflation und Krieg reale Renditen langfristig an der Börse zu generieren – wir haben dieses immer wieder gezeigt, sei es in der Finanzkrise in den Jahren um 2008 oder aber auch kürzlich in der Corona-Pandemie im Jahr 2020. Dieses Mal wollen wir unser Augenmerk auf den Faktor Zeit und die richtige Markteinschätzung richten sowie die damit verbundene Unternehmensanalyse, wer wirklich nach diesen Herausforderungen mit guten Geschäftsmodellen partizipiert. Und das ist nicht einfach und nennt sich Stockpicking.

 

Bitte beachten Sie den Haftungsausschluss.

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