Trotz einer Reihe von Belastungsfaktoren legten die Kurse an der Börse London in den vergangenen Wochen zu, während europäische und US-amerikanische Aktien an Terrain verloren. Dies bedeutet nun aber nicht, dass Anleger ihren Blick gen Großbritannien richten müssen. Im Gegenteil: Was die Börse London angeht, sollten Anleger eher Vorsicht walten lassen.

Der Herbst macht seinem schlechten Ruf an den Börsen bisher alle Ehre. Eine ganze Reihe Unsicherheitsfaktoren hält die Marktteilnehmer aktuell in Atem. Neben Lieferengpässe und der Notlage des chinesischen Immobilienentwicklers Evergrande sind es vor allem die steigenden Energiepreise, die für Unsicherheit sorgen. Die dadurch zunehmenden Risiken einer hohen Inflation spielen den Auguren in die Hände, die bereits seit Wochen die geldpolitische Wende prognostizieren. Die US-Notenbank Fed plant die erste Zinserhöhung im Jahr 2022 und gibt damit ein Signal für eine geldpolitische Wende.

Ob die Fed 2022 tatsächlich den US-Schlüsselzins anheben wird, bleibt jedoch noch abzuwarten. Und: Wann die Europäische Zentralbank den Leitzins erstmals anheben wird, ist derzeit noch schwieriger zu prognostizieren; allem Anschein nach dürfte der Leitzins im Eurorraum aber noch eine ganze Weile bei 0 Prozent verharren. Fakt ist jedoch: Mit Neuseeland erhöhte Anfang Oktober die erste entwickelte Volkswirtschaft ihren Leitzins – erstmals seit sieben Jahren.

Angesichts dieser Gemengelage verwundert kaum, dass der EuroStoxx 50 seit Mitte September knapp 3 Prozent an Wert einbüßte. Ohne größere Blessuren schlug sich hingegen die Börse London, die in dieser Zeit gemessen am marktbreiten FTSE 100 sogar rund um 1 Prozent vorrückte. Für viele Experten kam diese Entwicklung überraschend, schließlich brennt es in Großbritannien unter anderem angesichts des akuten Mangels an LKW-Fahrern an allen Ecken und Enden. Auf der Insel herrscht Knappheit wie in den 70er Jahren.

ABGEKÜHLTE STIMMUNG ZWISCHEN LONDON UND BRÜSSEL

Während selbst die Güter, die es trotz der unterbrochenen Lieferketten gibt, nicht mehr die Supermarkt-Regale erreichen, mussten Tankstellen wegen des fehlenden Sprits schließen. WhatsApp-Gruppen tauschen Informationen über die Benzinlage aus. Als wäre dies nicht genug, steuern die EU und Großbritannien wegen des Streits um die Nordirland-Frage auf einen Handelskrieg zu.

Kurzum: Trotz der zuletzt überraschend stabilen Entwicklung sollten Anleger die spezifischen Risiken der Börse London im Auge behalten. Der EU-Ausstieg schwächt den Finanzplatz. Das Geschäft mit kontinentaleuropäischen Aktien wanderte bereits aus der City ab, zudem ging der Marktanteil am Handel mit Euro-Derivaten deutlich zurück. Einiges spricht dafür, dass Europas wichtigsten Finanzzentrum nach und nach an Marktmacht verlieren wird.

Zwar spart das Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU bislang den Finanzsektor aus und die City spekuliert darauf, dass die EU-Kommission die Börse London als gleichwertig anerkennt. Dass dies jedoch kein Selbstläufer ist, zeigt die in den vergangenen Monaten merklich abgekühlte Stimmung zwischen London und Brüssel.

ATTRAKTIVE ALTERNATIVEN ZUR BÖRSE LONDON

Anlegern, denen die Lage auf der Insel vor diesem Hintergrund zu unkalkulierbar erscheint, bieten sich trotz der aufgezeigten Unsicherheitsfaktoren attraktivere Alternativen – und zwar im Euroraum und in den USA. Die Fundamentaldaten der Unternehmen und der Wirtschaft sind recht konstruktiv für die Märkte. Spannung versprechen aber vor allem die in Kürze anstehenden Quartalszahlen und Prognosen für das Gesamtjahr. Dazu kommt die Tatsache, dass beispielsweise mit Blick auf das letzte Börsenquartal manche Stimmungsindikatoren schon eine Jahresend-Rally voraussagen und das Risiko nicht dabei zu sein, höher einschätzen, als etwaige Verlustrisiken. Dies aber natürlich auch mit Sicht auf 2022, denn die Auftragsbücher vieler Unternehmen sind prall gefüllt und somit verschiebt sich der positive Konjunkturzyklus bis weit in das Jahr 2022 hinein und gilt als Nährboden für die Aktienentwicklung.

Mit Blick auf die Neue Welt erwarten Analysten, dass die Gewinne der im S&P 500 gelisteten Unternehmen im Schnitt um fast ein Drittel im Vergleich zum Vorjahreszeitraum steigen. Gerade Technologie-Aktien bieten nach dem jüngsten Ausverkauf womöglich günstige Einstiegsniveaus. Doch Vorsicht: Der Vermögensaufbau mit Aktien bietet nicht nur Chancen, Anleger sollten auch stets die damit einhergehenden Risiken im Blick behalten. Auf dem europäischen Festland ist der monetäre Rückenwind im Gegensatz zu den USA nach wie vor gegeben. Die EZB wird weiterhin lieber einen schwachen Euro in Kauf nehmen, als die Zinsen anzuheben und die Inflation einzudämmen, zu hoch sind systemische Verschuldungsrisiken.

 

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