Es war absehbar – und trat jüngst auch tatsächlich ein. Die Rede ist von der Parität zwischen dem Euro und Dollar. Im Vergleich zum Greenback ist die europäische Gemeinschaftswährung aktuell so schwach, wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Doch was bedeutet ein schwacher Euro eigentlich für die Unternehmen, den Aktienmarkt und für die Anleger?

EZB hat viel zu spät reagiert

Die derzeitige Euro-Schwäche gilt in der öffentlichen Diskussion als Indiz für die schwierige Lage der Euro-Zone. Dazu gehört etwa die immer schwierigeren Finanzierungsbedingungen für Länder wie Italien oder Griechenland. Und auch der schleppende Kampf gegen die Inflation der Europäischen Zentralbank (EZB) zählt dazu, die noch weitaus später und zudem sehr viel verhaltener den Kampf gegen die Inflation aufgenommen hat, als etwa die US-Notenbank – und die hat schon viel zu spät reagiert. Zur Erinnerung: Die EZB hat im Juli erstmals seit rund elf Jahren den Leitzins angehoben – um 50 Basispunkte auf nun 0,5 Prozent. Und dies, obwohl die Inflation bereits vor einem Jahr über den von der EZB anstrebten Wert von rund 2 Prozent stieg und seitdem rasant zulegte, auf zuletzt 8,6 Prozent.

Schwacher Euro beflügelt die Inflation…

Gerade im Zusammenhang mit der Inflation ist ein schwacher Euro ein Problem. Da viele Rohstoffe in US-Dollar gehandelt werden, müssen Käufer mehr Euro aufwenden, um Rohstoffe zu erwerben. Auf diese Weise importiert der Euro-Raum Inflation. Im zweiten Schritt geben die Unternehmen dann die hohen Preise an die Kunden weiter, die wiederum höhere Löhne fordern – und sich so letztendlich die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen kann. Die jüngsten Tarifabschlüsse beziehungsweise -forderungen weisen bereits in diese Richtung.

…und große Export-Unternehmen

Ein schwacher Euro bringt aber nicht nur Nachteile. Wegen der schwächelnden Gemeinschaftswährung werden innerhalb der EU produzierte Güter für Kunden aus dem Ausland günstiger. Davon könnten unter anderem deutsche Automobil- und Maschinenbauer profitieren, die international besonders gefragt sind. In Zeiten weltweit steigender Inflation könnte der für US-Amerikaner günstige Wechselkurs zum Euro den Ausschlag geben, um auf Qualität „Made in Germany“ zu setzen.

Zwar wird dieser Effekt durch steigende Kosten für Grundstoffe ein wenig relativiert, doch zeigen die jüngsten Quartalszahlen, dass die sich die Gewinne der deutschen Automobil- und Industrieunternehmen trotzt der zahlreichen Belastungen teils recht ordentlich entwickelt haben. Das liegt daran, dass ein Großteil der Wertschöpfung rund um Autos oder auch Maschinen bei den Unternehmen stattfindet und Kosten für Grundstoffe nicht so sehr ins Gewicht fallen. Die ersten Tage der diesjährigen Quartalszahlen-Saison deuten bereits an, dass die eigentlich so schlechte Gesamtlage zumindest für einige der international agierenden Großkonzerne nicht zu schwächeren Zahlen führt. Hinzu kommt, dass gerade weltweit aufgestellte Konzerne viele Möglichkeiten haben, sich gegen Wechselkurs-Effekte abzusichern. Zudem schützen teils langfristige Lieferverträge für Roh- und Grundstoffe diese Unternehmen vor kräftigen Preissteigerungen.

Robuste Unternehmen setzen sich durch – schwacher Euro hin oder her

Trotzdem wäre es falsch, wegen des schwachen Euro blindlings in deutsche Industriewerte zu investieren. Vor allem Unternehmen aus der Chemiebranche könnten wegen der drohenden Gas-Krise noch in arge Bedrängnis geraten. Stattdessen sollten Investoren lieber die fundamentalen Gegebenheiten bei Unternehmen genau unter die Lupe nehmen und auch das Geschäftsmodell und Management en Detail analysieren.

Die Erfahrung von Jahrzehnten an der Börse und mehreren Krisen hat gezeigt, dass es auf lange Sicht weniger auf externe Faktoren und Sondersituationen ankommt, sondern auf die Qualität auf Unternehmensebene. Ist diese gegeben, können Aktien auch unter widrigen Bedingungen den Gesamtmarkt schlagen und langfristig eine solide Rendite erzielen. Statt sich von Meldungen über den schwachen Euro verunsichern zu lassen, sollten Investoren die Parität zwischen Euro und Dollar nüchtern analysieren und erkennen, dass jede Medaille zwei Seiten hat.

Was einerseits ein ernstzunehmendes Warnsignal ist und die Inflation weiter befeuern kann, kann andererseits sogar neue Kunden aus dem Ausland von Produkten aus der EU überzeugen. Egal, ob die EZB mit ihren Entscheidungen der Gemeinschaftswährung neue Impulse gibt oder nicht: Anleger müssen sich mit den Gegebenheiten arrangieren. Auch trotz oder gerade der widrigen Umstände sind und bleiben Aktien weiterhin die erste Wahl beim Thema langfristiger Vermögensschutz. Und in der Tat gibt es auch schon kurzfristig wieder einige attraktive Chancen bei dem einen oder anderen Unternehmen – die Bewertung sollten Sie aber einem Profi überlassen, der dieses seit Jahrzehnten macht…

 

Bitte beachten Sie den Haftungsausschluss.

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