US-Aktien bieten attraktive Renditechancen – und dies, obwohl die Zinswende der US-Notenbank noch auf sich warten lässt. Doch auch Europas Aktien sind interessant – nicht nur, aber auch aufgrund der vergleichsweise günstigen Bewertung.
Das nenn ich mal „Fortschritt“. Die EZB, die Europäische Zentralbank, hat die Zinsen gesenkt – und das noch vor der US-Notenbank Fed. Respekt. Nicht, dass es nicht an der Zeit gewesen wäre, die Zinsen angesichts schwacher Wirtschaftsdaten herunterzusetzen. Nein, es ist eher erstaunlich, dass die Europäer eine Zinssenkung noch vor den USA wagen. Schließlich ist die EZB nicht gerade für ihren Mut bekannt – und erst recht nicht für Alleingänge.
Die EZB agiert gerne im Windschatten der US-Notenbank, was ja angesichts der engen Verzahnung der Ökonomien dies- und jenseits des Atlantiks auch Sinn macht. Doch manchmal ist eben doch Engagement gefragt, Eigeninitiative – das hat die EZB nun bewiesen, wenngleich der Zinsschritt mit 0,25 Prozentpunkte denkbar gering ausfiel.
US-Notenbank wartet ab – noch
Die Fed hat hingegen bisher aber nicht einmal einen solch kleinen Zinsschritt gewagt. Und zwar aus guten Gründen. Fakt ist: Noch geben die Inflationsraten das schlichtweg nicht her. So lag die Inflation im Mai in den USA bei 3,3 Prozent und damit immer noch deutlich über der Zwei-Prozent-Marke, die auch von der Fed mehr oder weniger als Zielmarke anvisiert wird. Zudem weist der US-amerikanische Wirtschaftsmotor eine recht erfreuliche Drehzahl auf. Erst vor wenigen Tagen hat die Weltbank ihre Prognose für das US-Wachstum im laufenden Jahr auf 2,5 Prozent angehoben. Zuvor lagen die Schätzungen bei 1,6 Prozent.
Für die Fed besteht daher derzeit wenig Anlass, an der Zinspolitik etwas zu ändern und die Zinsen zu senken. Das kann man verstehen. Aber: Sobald sich die Anzeichen für eine Fed-Zinssenkung wieder mehren, wird auch der ohnehin recht robuste Aktienmarkt einen zusätzlichen Schub erhalten, daran besteht kein Zweifel. In der Phase vor diesem Schritt geht es nun auch darum, solche Unternehmen zu identifizieren, die von der Zinswende besonders stark profitieren dürften.
EZB-Schritt war keine allzu große Überraschung
An der Börse wurde das Vorpreschen der EZB bereits seit einiger Zeit erwartet. Das sieht man unter anderem daran, dass der EuroStoxx 50 seit einigen Monaten besser läuft als der Dow Jones. In den zurückliegenden sechs Monaten etwa legte der europäische Index um rund acht Prozent zu, der US-amerikanische derweil um rund drei Prozent. Zeitlich kommt die Outperformance gut hin, denn ungefähr seit Jahresanfang wird auch darüber spekuliert, dass die US-Notenbank die Zinsen erst zu einem späteren Zeitpunkt als ursprünglich angenommen senken wird. Ging man am Markt zuerst von einer Zinssenkung um Frühjahr aus, rechnet man nun mit dem September.
Europas Aktien sind günstig bewertet
Spätestens dann dürfte auch die Outperformance der europäischen Aktien – gemessen am EuroStoxx 50 – enden, wenn sie denn überhaupt bis dahin durchhält. Denn es sind sicherlich nicht nur die Zinsen, die über die Entwicklung der Aktienkurse entscheiden, sondern selbstverständlich auch das Wachstum. Und hier sieht es nun mal in den USA deutlich besser aus als in Europa. Während die USA laut Weltbank in diesem Jahr mit 2,5 Prozent wachsen sollen, rechnen die Weltbank-Volkswirte für die Euro-Zone nur mit 0,7 Prozent. Strukturelle Probleme, politische Querelen, mangelnder Reformwille, überbordende Bürokratie – Gründe für das schwächere Abschneiden der europäischen Wirtschaft gibt es leider viele.
Es gibt aber auch Argumente für den europäischen Aktienmarkt. Allein die Bewertung vieler Titel ist sehr interessant. So sind im EuroStoxx 50 Unternehmen gelistet, deren Aktien für das laufende Jahr Kurs-Gewinn-Verhältnisse im mittleren einstelligen Bereich aufweisen. So etwas findet man in Dow Jones kaum. Das sogenannte vorausschauende Kurs-Gewinn-Verhältnis, das die Gewinnerwartung der Unternehmen für die jeweils kommenden Monate laufend widerspiegelt, liegt beim EuroStoxx 50 bei rund 13, der amerikanische S&P 500 Index hingegen kommt hier auf Werte von über 20. Daraus folgt, europäische Aktien sind im Schnitt günstig. Das haben auch die Investoren erkannt. In den zurückliegenden Wochen wurde verstärkt Geld nach Europa gelenkt.
US-Notenbank dürfte für ordentlich Rückenwind sorgen
Doch allein die niedrige Bewertung wird es auf Dauer nicht richten. Die Unternehmen in den USA wachsen einfach dynamischer als ihre europäischen Konkurrenten. So wurden die Gewinnschätzungen für den S&P 500 für das Gesamtjahr 2024 und 2025 jüngst von den Analysten im Schnitt um 11 beziehungsweise 14 Prozent nach oben revidiert. Für den StoxxEurope 600 hingegen liegt der Konsens für das laufende Jahr bei einem Gewinnwachstum von lediglich 4,5 Prozent, für das kommende Jahr bei 11,5 Prozent. Das macht US-Aktien unter dem Strich deutlich attraktiver, auch wenn sie höher bewertet sind. Und sollte dann auch noch die US-Notenbank die Zinswende einläuten, dürfte die US-Börse im Vergleich zum europäischen Markt klar die Richtung vorgeben.
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